Als am 24. Januar das russische Verlegeboot “Fortuna” die Arbeiten an Nord Stream 2 in der Ostsee wieder aufnimmt, konnte man den Eindruck gewinnen, der Kalte Krieg sei zurück: Russland gegen die USA, so der Tenor vieler Medien.
Irgendwo in diesem Großkonflikt scheint die Bundesregierung eingeklemmt, die sich bei einem Weiterbau Ärger mit der neuen amerikanischen Administration in Washington einhandelt und bei einem Baustopp einen Konflikt mit Moskau.
Für eine Gaspipeline, die Berlin seit Jahren als “rein wirtschaftliches Projekt” beschreibt, ist das ein gehöriger weltpolitischer Auftrieb, zumindest konnte man den Eindruck gewinnen.
Was war in den vergangenen Wochen nicht schon alles passiert: Tage zuvor hatte sich offenbar Bauriese Bilfinger aus dem Projekt zurückgezogen und der Großkonzern Zurich wollte keine Versicherungsleistungen mehr gewähren. Und da sind ja noch politische Forderungen nicht nur des EU-Parlaments, Russland mit einem Baustopp zu bestrafen: So wie der Kreml gegen Alexej Nawalny vorgegangen sei, könne Deutschland kein gemeinsames Energieprojekt mit Russland weiterbetreiben.
Dass Manuela Schwesig hier mit allen Mitteln dagegen hält, ist verständlich: Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern fürchtet nicht nur um die Arbeitsplätze in der Region, sie hat auch einen Wahlkampf vor sich. Die SPD-Politikerin setzt, vermutlich zurecht darauf, dass ihre Wähler weniger Probleme mit dem Vorgehen Russlands als mit dem Vorgehen der USA haben.
Ihre Stiftung “Klima- und Umweltschutz Mecklenburg Vorpommern” ist daher vor allem ein Versuch, amerikanische Sanktionsdrohungen gegen den Weiterbau zu umgehen. Die Stiftung werde sich “vorrangig an der Vollendung von Nord Stream 2 beteiligen”, so ist im Paragraf 2 “Stiftungszweck” zu lesen – für eine Umweltstiftung ist das eine bemerkenswert ungewöhnliche Zielsetzung.
Die USA wollten die Pipeline nach Russland verhindern, um selbst Deutschland das Fracking-Gas zu verkaufen, so ist die gängige Lesart zwischen Schwerin und Sassnitz. Die Grundfrage, ob Deutschland über die aktuell importierte Gasmenge hinaus überhaupt Lieferungen benötigt, egal woher, ist allerdings hoch umstritten.
Umso erstaunlicher, dass es dazu – abgesehen von den russischen Analysen – anscheinend nur eine große Studie zur Pipeline gibt, nämlich die des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2018. Die kommt allerdings zu einem eindeutigem Urteil: Nord Stream 2 may be “zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland und Europa nicht notwendig”, ein zusätzlicher Import von fossilen Brennstoffen konterkariere sogar die Pariser Klimaziele, erklärten die Autoren kürzlich. Bundesregierung und deutsche Wirtschaft haben dem mehrfach widersprochen. Ihrer Ansicht nach ist die Leitung auf dem Grund der Ostsee natürlich wirtschaftlich sinnvoll.
Dagegen plante Russland die Pipeline schon von vorneherein nicht nur als Wirtschaftsprojekt. Die geostrategische Idee, die Ukraine als Transitland zu umgehen, haben Vertreter des russischen Staatskonzerns Gazprom – dem Nord Stream 2 gehört – mehrfach in russische Kameras erklärt: Mit Turkish Stream im Süden und Nord Stream im Norden könne man Kiew umgehen. So habe das unangenehme Gefeilsche um Durchleitungsgebühren und Liefersicherheit endgültig ein Ende.
Dass es nicht im europäischen Interesse sein kann, die Ukraine durch den drohenden Verlust von millionenschweren Durchleitungsgebühren zu destabilisieren, hat man auch in Berlin erkannt. In Moskau erreichte man daher, dass auch das ukrainische Netz nach Vollendung der Pipeline weiter genutzt werden soll. Die Regierung in Kiew hat seither mehrfach Zweifel angemeldet, dass sich Russland an diese Zusage halten wird – nach der russischen Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine scheint das verständlich.
Wenn jetzt wieder Forderungen laut werden, die Leitung angesichts der politischen Lage in Russland ganz zu stoppen, greift aber auch die Bundesregierung zu Argumenten jenseits des Ökonomischen: Nord Stream 2 sei auch notwendig, um mit Moskau im Gespräch zu bleiben, hört man vor allem von SPD-Seite. Parteifreund Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist Verwaltungsratchef von Nord Stream 2, aber ob diese Tatsache das Argument an sich entkräftet, darüber herrscht Uneinigkeit zwischen Befürwortern und Gegnern des Projekts.
So oder so, in Berlin versucht man erst einmal Zuversicht zu verbreiten: Nord Stream 2 sei trotz aller Widrigkeiten noch nicht am Ende, heißt es. Verständlich, ein endgültiges Aus wäre ein politisches und, wegen möglicher Schadensersatzforderungen, auch ein finanzielles Desaster für die Regierung.
Die Bundeskanzlerin will erst einmal die Biden-Regierung von den Sanktionen abbringen, in Richtung Moskau signalisiert man dagegen Vertragstreue: “Meine grundsätzliche Einstellung zu Nord Stream 2 hat sich nicht geändert”, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in der Bundespressekonferenz. Die Frage, ob sie das Festhalten am Projekt je bereut habe, wollte sie nicht beantworten.