What Corona has to do with the Second World War

Es gehört zu den großen Rätseln des Corona-Desasters: Warum hat es Spanier, Italiener, Belgier oder Briten so hart getroffen? Und warum andere so viel weniger? Zum Beispiel die Deutschen. Zumindest in der ersten Welle. Obwohl die Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts hier und da ja nicht von Grund auf anders leben, arbeiten, Fußball gucken und überhaupt. Alles Mensch, Kategorie Europäer. Ausgabe 2020/21.

Klar, es spricht einiges dafür, dass es Südeuropäern zum Verhängnis wurde, so viel mehr und länger in der Familie zu leben, in denen Junge die Älteren viel schneller ansteckten. Und beim Begrüßen mehr mit dem Körper zu arbeiten. Nur gilt das ja nicht für die distinguierten Briten. Oder die Belgier. Und klar, es kann sich auch auswirken, wie dicht Länder besiedelt – oder wie alt die Menschen im Schnitt sind. Nur erklärt das nicht, warum im ebenfalls dicht besiedelten und beschleunigt alternden Deutschland trotzdem über Monate sehr viel weniger Menschen an Corona starben. Reicht zur Erklärung auch nicht.

Auf der Suche nach einer Antwort haben drei Wissenschaftler von Weltbank und Georgetown University* jetzt eine erst einmal etwas verrückt klingende Entdeckung gemacht. Bei historischen Vergleichen fiel auf, dass im Corona-Jahr 2020 gerade jene Länder glimpflich davonkamen, die, genau, im Zweiten Weltkrieg im Gegenteil besonders viele Tote hatten, also im anderen, noch viel größeren universalen Desaster der jüngeren Geschichte. Reiner Zufall? Nicht unbedingt. Vielleicht sogar etwas, das manches heute erklären könnte. Und auch, warum die Deutschen in der zweiten Welle jetzt sehr viel weniger gut dastehen – und der harte Lockdown nötig ist.

Der Befund klingt bizarr – und scheint erst einmal eindeutig. Die Wissenschaftler werteten für fast 50 heute souveräne Staaten in Europa aus, wie viele Corona-Todesfälle es je eine Million Einwohner bis Ende August 2020 gab. Dann setzten sie daneben, wie viele Tote es in den betreffenden Ländern in Prozent der Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs gab.

Ergebnis: Fast überall dort, wo mit zehn und mehr Prozent der Bevölkerung während des Kriegs besonders viele Menschen starben, lagen die Corona-Sterberaten unter 200 je eine Million – in Belarus, Poland, der Ukraine oder Russland. In Deutschland starben im Krieg fast zehn Prozent – und die Corona-Sterberaten lagen bis August ebenfalls unter 200. Umgekehrtes gilt für Belgien, Großbritannien, Spain, Italien, France and the Netherlands, wo die Corona-Todesraten bei enormen 600 und mehr lagen – und der Anteil derer, die im Zweiten Weltkrieg starben, bei deutlich geringeren ein bis drei Prozent (was es menschlich natürlich nicht gutmacht).

Laut Auswertung der Wissenschaftler gab es kein einziges europäisches Land, das sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch in der Coronakrise jeweils härter als andere betroffen war. Und das gilt nach den statistischen Schätzungen eben selbst bei gleicher Bevölkerungsdichte und vergleichbarem Durchschnittsalter. »Es gibt eine starke negative statistische Korrelation zwischen Kriegs- und Corona-Opfern«, so Michael Lokshin, Vladimir Kolchin und Martin Ravallion.

Wie kann das sein? Weil der Schock über Jahrzehnte nachwirkt? Menschen zögen aus unmittelbar erlebten Katastrophen sehr viel mehr Konsequenzen, als wenn diese woanders passiert sind, so die Autoren. Und es gebe etliche Forschungen dazu, dass Menschen nach Kriegen stärker zu Selbstlosigkeit und gesellschaftlichem Engagement neigten – Eigenschaften, die für eine Gesellschaft bei neuen Schocks wie jetzt in der Coronakrise hilfreich sein können. Nachvollziehbar. Nur dass sich zweifeln ließe, ob Menschen anno 2020 so reagieren, wenn der Weltkrieg mehr als 75 Jahre zu Ende ist.

Die Erfahrung könnte eher indirekt wirken, vermuten die Ökonomen. So ein immenser Schock wie der Zweite Weltkrieg dürfte in stark betroffenen Ländern eher als anderswo Anreiz gewesen sein, die Gesellschaft resistenter zu machen – und in der Summe individueller Reaktionen dazu beigetragen haben, dass sich Verhaltensmuster und Institutionen entwickelten, die auf Dauer eher gegen künftige Katastrophen schützen – bewusst oder nicht. and: Wo Menschen mehr Vertrauen in ihre Regierung und ineinander haben, funktioniert Krisenbewältigung besser – etwa, wenn es wie heute darauf ankommt, ob die Leute bereit sind, zum Wohl aller Masken zu tragen oder auf Distanz zu gehen.

Gut möglich. Immerhin haben Soziologen schon vor Längerem die Vermutung aufgestellt, dass in Deutschland gerade als Folge des Desasters nach dem Krieg lange Zeit Vereinsleben, Geselliges und Konsensliebe als hohe Güter galten – und das bis heute im internationalen Vergleich noch tun. Und dass vielleicht deshalb sozialer Ausgleich für die Deutschen so wichtig zu sein scheint. Und ein – im internationalen Vergleich immer noch ganz – gutes Gesundheitssystem. Mit allen (Kehr-)Seiten, die das Gesellige so mitbringt. In Deutschland ist schnell der Blockwart da, um zu beurteilen, was man wie macht – allerdings auch, um zu helfen. In Paris wird man in Ruhe gelassen, nur beschleicht einen da auch mal das Gefühl, im Notfall auf der Straße liegen gelassen zu werden.

All das ist relativ, nicht ganz klischeefrei und ein bisschen idealisiert, was unsere Mitmenschlichkeit angeht. Und es gibt natürlich immer viele Faktoren. Wenn das Erklärmuster aber als ein Teil der Auflösung des Rätsels unterschiedlicher nationaler Corona-Schicksale taugt, könnte es auch erklären helfen, warum das Virus bei Briten und Amerikanern 2020 so zugeschlagen hat – also denen, die seit Thatcher und Reagan zu allem noch als Experimentiere für Turbo-individualisierenden Wirtschaftsliberalismus herhalten mussten. Nicht gut fürs Gesellschaftliche. Das Ergebnis ist dieser Tage zu besichtigen – auf den Stufen des Kapitols (gelegentlich auch des Reichstags). Oder am Ärmelkanal.

Dass Schockerfahrungen nachwirken, könnte nach Urteil der drei Wissenschaftler auch auflösen, was jetzt in der zweiten oder dritten Corona-Welle passiert. Jetzt stehen Menschen stärker unter dem Eindruck der gerade erlebten Schocks der ersten Welle, was die tiefer sitzenden Konsequenzen des vergangenen Zweiten Weltkriegs überlagert – und sich die Vorzeichen abschwächt oder umdreht: gerade weil vergangenes Jahr so viele Leben verloren gingen, schienen Franzosen, Belgier und Spanier schneller bereit, den nächsten Lockdown mitzumachen – was sich in seither stark fallenden Corona-Zahlen bemerkbar macht.

Während sich in Deutschland in der zweiten Welle in diesen Tagen womöglich fatal auswirkt, dass die erste Welle so glimpflich ausging – und umso mehr Menschen von der unmittelbaren Erfahrung geprägt sind, dass es doch nicht so schlimm war. Was die vermutlich historisch bedingten Vorteile zusehends überlagert. Und erklären könnte, warum Deutschland vor lauter verfrühter Selbstgewissheit den Bonus des Vorbilds gerade zu verlieren droht – und jeden Tag jetzt so viel mehr Menschen im Land an und mit Corona sterben als noch in der ersten Welle.

Dann wäre es höchste Zeit, den Shutdown für ein paar Wochen eher noch einmal zu verschärfen. Bevor die Deutschen mehr und mehr dieselbe furchtbare Erfahrung machen müssen, die andere schon in der ersten Welle gemacht haben.

Kann ja nicht sein, dass wir als Menschen nur pathologisch lernen. Und erst Katastrophen kommen müssen. Um wieder Zusammenhalt und Vorsorge zu schaffen. Oder? Muss ja vor lauter Geselligkeit deshalb nicht gleich die gehäkelte Klorolle zurückkommen.

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